Was macht man, wenn die letzte im Kleiderschrank verbliebene Hose kaputt geht, man aber keine neue kaufen möchte, weil es einem widerstrebt Hundert/e Euro/s in ein Kleidungsstück zu investieren, damit ein großer Konzern sich daran eine goldene Nase verdient, während die Näherin in Bangladesch nur ‘n Äppel und ‘n Ei (und vermutlich nicht mal das) dafür bekommt? Richtig! Man besinnt sich auf das, was man am besten kann und näht sich “einfach” eine.
Ein paar Worte zum Jeans nähen…
Nachdem ich nun meine erste Jeans vollendet habe, kann ich sagen, dass es Geduld und Spucke sind, die beim Jeansnähen am meisten gefragt sind. Ich würde ja behaupten, dass jeder, der schon einmal eine Handtasche/Kosmetiktasche/irgendwas-mit-Reißverschluss genäht hat, auch einen Denim zur Jeans zusammennähen kann, denn die einzelnen Nähschritte sind wirklich nicht schwierig. Als herausfordernd empfand ich das Vermessen des eigenen Körpers und das Ermitteln der richtigen Größe sowie daraus resultierend das Anpassen des Schnittmusters. Bei einer Jeans steigt mein Anspruch an die Passform gefühlt ins Unermessliche (Bloß keine Falten unterm Po und im Schritt!) und je besser man das Schnittmuster anpasst, desto erfolgreicher ist die erste Anprobe. Gehört man zu der Personengruppe, die auf dieses drei Arbeitsschritte gern verzichtet (Getreu dem Motto: Ich nähe einfach eine Größe 38, die passt ja immer.), wird man hier schnell an seine Grenzen stoßen.
Noch für kein anderes Nähprojekt habe ich so viele Blogartikel in der Vorbereitung gelesen. Besonders empfehlen kann ich euch diesen hier. Ein Hoch auf alle Blogger, die ihre Erfahrungen so detailliert mit anderen teilen, was wären wir nur ohne diese Informationsquelle! Häufig habe ich gelesen, dass Jeansnähen nun wirklich nicht schwierig ist und dem würde ich auch, bezogen auf die einzelnen Nähschritte (das Zusammennähen der einzelnen Teile, das Setzen der Kappnähte, das Einnähen des Reißverschlusses usw.) zustimmen. Davor braucht sich niemand zu fürchten. Aber die Vorarbeiten haben es meiner Erfahrung nach in sich, kosten einiges an Zeit und benötigen auch eine gewisse Näherfahrung.
Der Schnitt:
Meine Wahl für den Schnitt fiel auf die Ginger Jeans von Closet Case Patterns. Die Nähanleitung ist relativ kurz gehalten, jedoch findet man auf dem Blog von Closet Case Patterns insgesamt 17 Tutorials, die im Rahmen eines sew alongs entstanden sind und die wirklich jeden Arbeitsschritt bis ins kleinste Detail erläutern. Sowohl die Anleitung als auch die Blogbeiträge sind in englischer Sprache. Man ist also entweder des Englischen mächtig oder der Google Übersetzer wird in dieser Zeit zum besten Freund. 🙂
Der Schnitt bietet einem zwei Varianten – eine Hüfthose mit geradem Bein (view a – “low rise & stovepipe legs”) und ein high-waist Modell mit schmalem Bein (view b – “high rise & skinny legs). Ich habe beide Varianten miteinander kombiniert, d. h. meine Hose ist hüfthoch und hat schmale Beine.
Wie oben schon geschrieben, habe ich sehr viel Zeit in das Auswählen der richtigen Größe investiert. Letztendlich ist es Größe 10 geworden, wobei ich überlege, mir für das nächste Mal einen (noch) elastischeren Stoff zu suchen und auf Größe 8 umzusteigen. Frisch aus der Waschmaschine sitzt die Hose schön eng, aber nach dem ersten Tragen ist sie mir dann fast schon zu weit und ohne Gürtel geht nach ein paar Stunden quasi nichts mehr.
Schnittanpassungen:
Folgende Anpassungen am Schnittmuster habe ich durchgeführt:
- Ich habe die Leibhöhe um 1 cm verlängert. Dazu muss man das Vorder- und Rückenteil anpassen und auch alle Schnittteile, die zum Reißverschluss gehören (fly shield, fly shield interfacing und fly topstitching guide). Diese Änderung mache ich für mein nächstes Modell allerdings wieder rückgängig, weil es für meine Körperform besser wäre, wenn die Hose ein Stück tiefer sitzt. Aktuell rutscht der Bund immer leicht nach unten, sodass sich unter dem Bund eine kleine Falte bildet, die sich nach außen stülpt.
- Ich habe die Hose am Knie um 5 cm und am Saum noch einmal um 2 cm verlängert. Perfekt!
- Ich habe am Bund die sog. Hohlkreuzanpassung (“gaping at the waist”) vorgenommen, so wie hier beschrieben.
- Ich habe die Taschenform der high-waist Variante auf mein hüfthohes Modell übertragen, sodass meine Jeans nun Taschen besitzt, die sowohl in der Seiten- als auch in der Reißverschlussnaht gefasst werden (sog. pocket stay).
So bin ich vorgegangen:
- Nachdem alle Schnittteile zugeschnitten waren, habe ich mir Zeit genommen, um herauszufinden, wie ich die Teile zusammennähen möchte und mich schließlich für “Fake-Kappnähte” entschieden. Dabei werden die Stofflagen mit einem normalen Geradstich zusammengenäht und anschließend mit der Overlock versäubert. Zum Schluss klappt man die Nahtzugabe zu einer Seite um und steppt sie von außen fest, und zwar mit zwei Nähten, die (so) parallel (wie möglich) nebeneinander verlaufen. Dafür ist es von Vorteil, wenn man eine Nähmaschine besitzt, bei der man die Nadelposition verstellen kann. Am besten schreibt man sich auch gleich zu Anfang die gewählten Einstellungen auf. Dann sieht am Ende auch jede Naht gleich aus. 🙂
- Als Nächstes habe ich die Vorder- und Po-Taschen sowie die Gürtelschlaufen vorbereitet und die Vordertaschen an die Hosenbeine genäht.
- Dann wurde der Reißverschluss eingenäht.
- Die erste Anprobe: Einmal alles zusammenheften, bitte! Ich habe die Passe an die Hinterbeine geheftet, die Schrittnaht am Hinterteil genäht und das Vorder- und Hinterteil zusammengeheftet. Danach kann man die Hose zum ersten Mal anprobieren. Wohooo! 🙂
Stimmt die Passform? Dann geht es weiter…
- Nach dem Zusammenheften trennt man alles wieder auf und näht alle Teile, in der gleichen Reihenfolge, fest zusammen.
- Jetzt habe ich den Bund festgesteckt und festgestellt, dass eine Hohlkreuzanpassung notwendig ist (siehe oben). Also habe ich das Schnittteil dafür angepasst, den Bund noch einmal neu zugeschnitten und angenäht.
- Schließlich wurden die Po-Taschen aufgenäht.
- Dann ging es an die Details: Ich habe die Gürtelschlaufen angenäht, das Knopfloch eingenäht und den Knopf befestigt. Mein Tipp fürs Knopfloch: Bevor ihr den Bund wendet, solltet ihr die Nahtzugaben am oberen und unteren Rand etwas zurückschneiden, damit ihr fürs Nähen des Knopfloches eine möglichst ebene Fläche erhaltet. Andernfalls hängt euch nachher der Knopflochfuß auf “halb Acht” und eure Maschine kann kein sauberes Knopfloch stechen.
- Säumen!
- Nice-to-have: Für den wahren Jeans-Look habe ich an den Ecken der Taschen ein paar Nieten angebracht.
Der Stoff:
Um den richtigen Stoff zu finden, bin ich der Empfehlung von Julia von Tüt gefolgt und bei einem Stretchdenim von Stoff & Stil gelandet. Mein Fazit zum Stoff: Trägt sich ganz gut, ist aber nicht vergleichbar mit dem Stoff gekaufter Jeans. Ich hätte gern noch etwas mehr Stretch. Vielleicht hat ja jemand von euch einen Tipp für mich?
Weitere Materialien:
- Metall-Reißverschluss 4 mm (15 cm lang)
- Topstitchgarn bzw. Denim-Nähgarn
- Jeansnadel, Stärke 100*
- Jeans-Knöpfe, 14 mm (kupfer antik)*
- Nieten, 9 mm (kupfer/brüniert)*
Die Fakten:
Die wichtigste Information direkt am Anfang: I made Jeans! I am officially a sewing ninja! (so steht es jedenfalls auf der letzten Seite der Nähanleitung). 😀
- Schnittmuster: “Ginger Jeans” von Closet Case Patterns
- Oberstoff: Stretchdenim (2 % Elasthan, 98 % Baumwolle, 10,5 oz, 448g/m) von Stoff & Stil, ca. 3,00 m (bei 1,20 m Sb, es verbleibt ein schmales Reststück von ca. 2,00 x 0,50 m)
- Kaufgröße: 29/36, genäht in Größe 10
- Schnittanpassungen (bei 1,89 m Körpergröße): Bein- und Taschenform der high-waist Variante auf das hüfthohe Modell übertragen, Leibhöhe (und damit auch alle RV-Schnittteile) um 1 cm verlängert, Hosenbeine um insgesamt 7 cm verlängert (5 cm am Knie, 2 cm am Saum), Hohlkreuzanpassung am Bund (direkt am Körper abgesteckt)
“Ginger Jeans” in Bildern:
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6 Kommentare
Ich hab deinen Jeans eben auf Instagram gesehen und musste gleich mal deinen Blog besuchen. Die Hose sieht mega professionell aus! Mir graut tatsächlich auch nicht vorm Zusammennähen sondern vor den ganzen Schnittänderungen und ein bisschen auch vor der Stoffwahl. Aber bald muss ich da wohl mal ran, denn meine Hosen geben auch bald den Geist auf und ich kaufe genau wie du super ungerne Kleidung 🙂
Danke dir, Isabelle!
Das Gute daran ist: Wenn man die Schnittanpassungen einmal hinter sich gebracht hat, dann hat man einen Schnitt, den man zukünftig für jede neue Jeans verwenden kann. Das hat mich motiviert dran zu bleiben. 🙂
Uaaah, warum sehe ich deinen Beitrag erst jetzt? Ich habe gerade heute exakt diesen Stoff bei Stoff und Stil für die Ginger gekauft. Allerdings nur 1,50m 😬 Bei 1,50er Breite reichen für Hosen bei mir normalerweise 1,20m. Die Ginger habe ich allerdings noch nie genäht. Daher vielen Dank für deine Erläuterungen.
Und deine Jeans sieht auf jeden Fall Hammer mäßig aus. Da kommt keiner auf die Idee, dass sie selbstgenäht ist. Und auch von der Passform kann sie auf jeden Fall mit Kaufjeans mithalten. Nur das mit dem ausleiern beim Tragen ist natürlich doof.
Liebe Grüße Miriam
Die jetzt in sich geht und gleich Stoff nachkauft oder es drauf ankommen lässt
Hey Miriam, danke für dein Kompliment zur Jeans! Der Stoffverbrauch kommt mir selbst auch sehr viel vor. Möglicherweise habe ich nicht ganz so sparsam zugeschnitten ;), die Hosenbeine musste ich ja auch um mehrere cm verlängern und den Bund habe ich doppelt zugeschnitten, weil ich dort ja die Hohlkreuzanpassung vorgenommen habe und deswegen das erste Schnittteil für die Tonne war. Trotzdem kommen mir 1,50 m sehr wenig vor, wenn du daraus eine Ginger nähen möchtest, v. a. weil der Stoff ja nur 1,20 m breit liegt. Mal so als Referenz: Im Schnittmuster wird (für die kleinste Größe und für eine Stoffbreite von 1,15 m) 2,30 m als Stoffverbrauch angegeben.
Moin, natürlich hast Du bestimmt jede Menge Profi – Wissen, aber hast Du dich schon Mal mit dem Lutterloh System beschäftigt? Du würdest dir jede Menge Schnittanpassungen sparen. Ich bin 1,86 gross und weiß um das Problem mit den Konfektionsschnitten. LG
Das kannte ich bisher gar nicht, schaue ich mir aber auf jeden Fall mal an. 🙂